Wenn Zaungespräche Orang-Utans retten

Schimpansen bei Nacht

Was haben ferne Galaxien mit seltenen Regenwaldbewohnern gemeinsam? Viel, wie ein wegweisendes Artenschutzprojekt zeigt. Der Anfang dazu entstand in einem Garten und der Weg dazu führt auch über die Schweiz.

 

Ein Zaungespräch zwischen zwei Nachbarn. Der Eine beklagt sich, wie mühevoll die Zählung von freilebenden Wildtieren ist. Der Andere schwärmt, dass er Objekte sehen kann, die Milliarden von Lichtjahren von der Erde entfernt sind. Aus dem Zaungespräch entwickelt sich eine ungewöhnliche Zusammenarbeit.

 

Die zwei Nachbarn sind der Astronom Steven Longmore und der Ökologe Serge Wich. Mit Computervision und maschinellem Lernen setzen sie sich seit ihrem Zaungespräch für den Artenschutz und gegen die Wilderei ein: Sie entwickeln an der John Moores Universität in Liverpool ein System aus Drohnen und Spezialkameras, das bedrohte Wildtiere am Boden und auf Bäumen aufnehmen kann. Tag und Nacht. Dabei nutzen sie Techniken der Astronomie, um unseren Planeten Erde und dessen Artenreichtum zu schützen.

Was haben Sterne und Wildtiere gemeinsam?

Die Spuren von bedrohten und oft scheuen Tieren zu verfolgen ist anstrengend. Ihre manuelle Zählung oder die Erfassung mit Luftaufnahmen ist zeit- und kostenintensiv. Tiere mittels Video, Drohnen und Software zu identifizieren ist günstiger und effizienter. Doch mit Tageslicht arbeitende Kameras übersehen teilweise Tiere oder Wilderer, die sich durch die dichte Vegetation bewegen. Für Nachtaufnahmen sind sie nicht geeignet. Das gilt nicht für Infrarotkameras. Für sie ist weder dichtwachsender Regenwald noch die Dunkelheit der Nacht ein Hindernis. Und genau hier findet sich die Gemeinsamkeit der Orang-Utans und der Sterne: Beide geben Wärme ab und beide haben einen erkennbaren thermischen Fussabdruck. Mit Infrarot kann dieser erfasst werden (Bild).
Damit das von Longmore und Wich entwickelte System in Zukunft bedrohte Tierarten in den verschiedenen Ökosystemen identifizieren kann, muss es mittels maschinellem Lernen «trainiert» werden. In Safariparks und Zoos nahm das Team der Wissenschaftler dazu tausende Wärmebilder verschiedener Tierarten in unterschiedlicher Umgebung auf. Mit der so entstandenen Präsenzbibliothek kalibrierten die Wissenschaftler die komplexen Algorithmen des Erkennungs-Systems. Je mehr Aufnahmen, desto höher die Intelligenz und die Treffsicherheit des Systems.

Englische Kühe, heisse Steine und Orang-Utans

Erste Feld-Tests mit Kühen und Menschen in England halfen, Schwächen des Systems zu erkennen. Die Kameras konnten nicht zwischen erhitzten Steinen und Testpersonen, die sich als Wilderer ausgaben, unterscheiden. Zudem war die Flughöhe ein Problem und wenn die Kühe eng in der Herde zusammenstanden, konnten die Kameras die einzelnen Tiere nicht mehr lokalisieren. Die verbesserten Werkzeuge wurden in einem zweiten Feldversuch in Südafrika geprüft, mit einem schon fast sensationellen Erfolg: Fünf Buschmannhasen wurden auf einer kleinen Fläche entdeckt. Fünf klingt nach nicht viel. Weiss man aber, dass die scheuen Tier zu den am stärksten bedrohten Säugetieren weltweit gehören, ist die Anzahl erstaunlich. Nur gerade 1000 Tiere wurden bis heute je gesehen.
Die Tests in Südafrika halfen den Wissenschaftlern, die optimale Flughöhe der Drohnen zu bestimmen. Das Team erkannte zudem den wichtigen Faktor, dass Tiere während den Aufnahmen ihre Konturen in Echtzeit ändern - Felsen und Bäume nicht. Zudem wird der Einfluss von Regen, Feuchtigkeit und anderen Wetterbedingungen in die Weiterentwicklung des Systems einfliessen. Ein vollautomatischer und testbereiter Prototyp soll in zwei Jahren bereit sein. Und wenn alles nach Plan läuft, können Interessenten das System in fünf Jahren zum Selbstkostenpreis von ca. $15‘000 kaufen.
Bis dahin arbeitet das astro-ökologische Team unter anderem mit Such- und Rettungsgruppen zusammen, um im Meer oder im Nebel verschollene Menschen aufzuspüren. Und im Mai 2018 startet die Zusammenarbeit mit Naturschutzgruppen und Universitäten bei der Suche nach Orang-Utans und Klammeraffen in den dichten Wäldern von Malaysia und Mexiko. Zudem werden Flussdelphinen im brasilianischen Amazonas aufgespürt.

Serge Wich und die Schweiz

Sein Wissen über die Orang-Utans hat sich Serge Wich unter anderem in Zürich angeeignet. Zwei Jahre (2010-2012) war er Mitarbeiter am Tuanan Orangutan Research Project der Universität Zürich, das eine der letzten wilden Orang-Utan-Populationen in der Tuanan Region in Zentral-Kalimantan, Borneo erforscht. Drei Universitäten sind an diesem Vorhaben beteiligt, das auf einem von der BOS Foundation (BOSF) verwalteten Gebiet stattfindet. Wich ist zudem Co-Autor der MPI Studie über das Verschwinden der Borneo-Orang-Utans und Mitgründer von Conservationdrohnes.org, einer gemeinnützigen Organisation, die Drohnen für Konservierungszwecke baut und nutzt.