Das Virus und die Orang-Utans

Zwei medizinische Mitarbeiter untersuchen einen jungen Orang-Utan

© Björn Vaughn | BOS Schweiz | BOS Foundation

Kann das Coronavirus auf Orang-Utans übertragen werden? Könnten die Menschenaffen aufgrund von Covid-19 gar aussterben? Wir gehen auf die brennendsten Fragen ein – und verraten, was wir von den Waldmenschen lernen können.

 

So viel vorweg: Ja, Covid-19 kann für Orang-Utans tatsächlich eine ernsthafte Bedrohung darstellen. Aber: Da bisher keine Fälle von Ansteckungen bekannt sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob das Coronavirus für Orang-Utans ebenso ansteckend und gefährlich sein kann wie für uns Menschen.

Warum gehen Forscher*innen dennoch von einer relativ hohen Ansteckungsgefahr aus?

 

Der kürzlich bestätigte Fall eines mit Covid-19 infizierten Tigers im Bronx Zoo in New York wirft erneut Fragen zur Übertragbarkeit des Virus von Menschen auf Wildtiere auf. Zudem sind ähnliche Atemwegserkrankungen bei nicht wilden Orang-Utans eine häufige Todesursache. Das zeigen Daten, die in Zoos und Rettungszentren erhoben wurden. Die Erkrankung an Covid-19 stellt also eine ernstzunehmende Gefahr dar – insbesondere für Orang-Utans, die menschlichem Kontakt ausgesetzt sind und auf begrenztem Raum zusammenleben. Hinzu kommt, dass die Erbinformation der einzigen Menschenaffen Asiens zu rund 97 Prozent identisch ist mit der unseren. Diese genetische Verwandtschaft hat zur Folge, dass wir für ähnliche Krankheiten anfällig sind. Problematisch ist beispielsweise die Übertragung von Tuberkulose oder Hepatitis von Menschen auf Orang-Utans. Und: Eine für uns harmlose Erkältung kann für die Waldmenschen mitunter sogar tödlich enden.

 

Was können wir von den Orang-Utans lernen?


Wir üben uns aktuell im Social Distancing. Nicht allen fällt es leicht, den persönlichen Kontakt zu Freunden und Familie auf ein Minimum zu reduzieren. Und genau hier können wir uns einiges von den Orang-Utans abschauen. Denn: Diese sind Meister*innen im Social Distancing! Erwachsene Tiere verbringen die allermeiste Zeit alleine – ausser zur Paarung und zur mütterlichen Aufzucht von Jungtieren. In diesem Verhalten unterscheiden sich Orang-Utans von anderen Primaten, die vorzugsweise in Gruppen leben. Die soziale Distanz wirkt sich auch auf die Übertragung von Krankheiten aus: So scheinen Orang-Utans deutlich seltener zu erkranken als die afrikanischen Menschenaffen. Und das ist durchaus bemerkenswert! Langzeitdaten aus über 26 Jahren Forschung zu wilden Orang-Utans im Gunung-Palung-Nationalpark zeigen keinerlei Hinweise auf die Verbreitung von Infektionskrankheiten, wohingegen bei vielen Schimpansen, Bonobos und Gorillas in freier Wildbahn Atemwegserkrankungen beobachtet wurden. 15 Jahre Forschung an einer wilden Orang-Utan-Population im von BOS verwalteten Mawas-Gebiet stützen diese Erkenntnisse. Nicht nur sind wild lebende Orang-Utans durch ihren halb-solitären Lebensstil seltener infizierten Artgenossen ausgesetzt, sie halten sich auch bevorzugt in 20 bis 30 Meter Höhe auf. Das schafft Distanz zu Menschen und lässt selbst hochgradig infektiösen Krankheiten kaum eine Chance. Aber das bedeutet nicht, dass die Waldmenschen in ihrer natürlichen Umgebung vollständig geschützt sind.

Eine Orang-Utan-Mutter mit ihrem Baby

© Björn Vaughn | BOS Schweiz | BOS Foundation

Orang-Utans praktizieren ausgeprägtes Social Distancing. Das gilt aber natürlich nicht für Mütter und ihre Säuglinge! 

Wie gross ist nun die Gefahr, dass Orang-Utans aufgrund von Covid-19 sogar aussterben könnten?

 

Diese Frage gilt es zu relativieren, da zwischen wilden und nicht wild lebenden Orang-Utans unterschieden werden muss. So kommt wilden Individuen ihr Talent fürs Social Distancing zugute, was eine Ansteckung grundsätzlich unwahrscheinlicher macht. Eine potenzielle Bedrohung stellt der Öko-Tourismus dar, der den Erreger unbemerkt in wilde Populationen einschleppen könnte. Auch Forschungsaktivitäten müssen auf ein Minimum reduziert und Auswilderungen ganz eingestellt werden. Eine indirekte Gefahr für das Überleben der Art geht davon aus, dass in Krisenzeiten üblicherweise wenig Geld für den Arten- und Regenwaldschutz zur Verfügung steht. Wirtschaftliche Interessen, die leider oft mit der Zerstörung der Natur einhergehen, werden nach der Krise Priorität haben. Bei nicht wild lebenden Orang-Utans ist eine Ansteckung durch den engen Kontakt zu Menschen wahrscheinlicher. Zudem fehlt aufgrund der starken weltweiten Nachfrage wichtige Schutzausrüstung, was die sichere Arbeit in den Rettungsstationen gefährdet.

Ein Orang-Utan hält sich an einem Ast fest

© Björn Vaughn | BOS Schweiz | BOS Foundation

90 Prozent ihrer Zeit verbringen Orang-Utans hoch oben in den Baumkronen – und das ist gut so.

Und was bedeutet das alles für die Orang-Utans in den BOS-Rettungsstationen?

 

Gerade weil noch viele Faktoren unbekannt sind, ist eine effiziente Prävention entscheidend. So wurden auch in den BOS-Rettungsstationen Vorsichtsmassnahmen getroffen. Die Mitarbeitenden wurden in zwei verschiedene Teams eingeteilt, die Rotation eingestellt. Personen mit Fieber oder Unwohlsein unterbrechen ihre Tätigkeit in der Rettungsstation. Das Personal ist überdies verpflichtet, öfter die Hände zu waschen und Masken sowie Handschuhe zu tragen. Aktivitäten, die einen engen Kontakt zwischen Mensch und Tier erfordern, wurden reduziert. Orang-Utans, die bereits an Atemwegserkrankungen leiden, werden besonders geschützt. Zum Schutz wilder Populationen wurden alle Besuche im Mawas-Gebiet, wo BOS Schweiz ein Aufforstungsprojekt koordiniert, ausgesetzt. Auch die geplante Projektreise der beiden BOS Schweiz-Mitarbeitenden Anna und Moritz wurde verschoben. Qualifizierte Quarantäneforscher*innen überwachen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen die Gesundheit der wilden Orang-Utan-Population in Tuanan.

Das Fazit

 

Es ist zu früh, um Prognosen zum Ausmass von Covid-19 auf die Sterblichkeitsrate von Orang-Utans zu wagen. Bisher fehlen Proben von kranken Individuen, die analysiert werden können. Wie stark das Coronavirus die Waldmenschen betrifft, wird sich erst zeigen. 

 

     

Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

Gruppenbild mit Mitarbeitenden der BOS Foundation und jungen Orang-Utans

© BOS Foundation | Indrayana

Helfen Sie mit einer Spende von 50 Franken, die Orang-Utans in den BOS-Rettungsstationen bestmöglich vor einer Ansteckung durch das Coronavirus zu schützen.