Auf den Baum gekommen: Zum Sinn und Unsinn von Baumpflanzaktionen

Regenwaldgebiet in Zentral-Kalimantan

© BOS Foundation

Auf den Baum gekommen sind in letzter Zeit viele. Nicht nur Privatpersonen engagieren sich gerne und zunehmend gegen den Klimawandel, indem sie Bäume pflanzen, auch Unternehmen haben diese Form des Engagements für sich entdeckt. Millionen kommen so zusammen, ganze Fernseh-Galas widmen sich dem Thema. BOS Schweiz hingegen hat den Setzling im Februar 2021 aus der hauseigenen One-Tree-One-Life-Aufforstungskampagne geworfen.

 

Warum? Weil ein Baum viel mehr als nur ein Setzling ist, weil wir uns gegen Billigbaum-Pflanzaktionen im Akkord aussprechen und weil auch beim Aufforsten die Qualität statt nur die Quantität entscheidend sein sollte. Angesichts der Dringlichkeit der Lage möchten wir nebst der Aufforstung zerstörter Wälder den Schutz der letzten bestehenden, noch intakten Regenwälder in den Fokus stellen. Wie wir Renaturierung, Aufforstung, Wald- und Artenschutz kombinieren und warum das sinnvoll ist, erläutert Dr. Sophia Benz, Geschäftsführerin von BOS Schweiz, unten.

 

Massenhaft Bäume pflanzen. Das ist doch eine tolle Idee, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, oder?

 

Nein. Die Masse sollte nicht das ausschlaggebende Kriterium sein, ist es aber trotzdem oft. Sogenannte «Baumpflanz-Challenges» dienen der Gamifizierung und letztlich der Unterhaltung. Sie sind gewissermassen ein PR-Tool, das lediglich die Kommunikation über ein eigentlich komplexes Themas erleichtert. Wie oft im Leben sollte es auch bei der Aufforstung vor allem um die Qualität gehen. Insbesondere, da eine begrenzte Summe an Geld zur Verfügung steht und uns die Zeit fürs Aufforsten davonrennt, müssten wir uns fragen, wo und wie Aufforstung am besten stattfinden sollte und am effizientesten ist. 

 

Also gilt nicht «je mehr gepflanzte Bäume umso besser»? Die Anzahl der Bäume wäre ein wunderbarer Indikator für erfolgreichen Klimaschutz, oder?

 

Jein. Was zählt, ist doch, ob der Baum in ein paar Jahren noch steht, ob er gegen Waldbrände verteidigt wurde, wie schnell und wieviel Kohlenstoff er in der Lage ist zu binden, welchen Wert er im lokalen Ökosystem hat, ob lokal Arbeitsplätze entstanden sind im Rahmen der Pflanzaktion oder ob langfristig nachhaltige, alternative Einkommensquellen geschaffen wurden (insofern illegale Rodungen ein Thema sind) und vieles weitere.

 

Viele Unternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren wollen, bewerten Baumpflanzprojekte zudem dahingehend, ob sie einen Schweiz-Bezug haben. Sie pflanzen aus diesem Grund lieber hier vor Ort …

 

Ja, und genau davon würde ich abraten. Natürlich ist es nett, eine eigene kleine Birnbaum-Plantage am Bodensee zu haben. Da kann man die Kunden gleich noch mit hauseigenem Birnensaft beglücken und Heimatgefühle wecken. Das bindet natürlich. Aber weder am Bodensee noch anderenorts in der Schweiz haben wir einen Baummangel. Aufforstung in tropischen Gebieten ist viel sinnvoller, denn dort wächst alles schneller und üppiger. So wird mehr und schneller Kohlenstoff gebunden. Am effizientesten ist die Aufforstung in tropischen Torfmoorgebieten. Torfmoorregenwälder binden bis zu 40 Mal mehr Kohlenstoff als herkömmliche Regenwälder! Auch Waldschutz ist dort sehr sinnvoll, denn brennen diese Wälder, setzten sie verglichem mit anderen Wäldern ein Vielfaches an CO2 frei. Ausserdem sucht die Artenvielfalt dieser Wälder ihresgleichen. Mit dem Wald schützt man dort eine Vielzahl endemischer, das heisst nur dort beheimateter, und vom Aussterben bedrohte Tiere.

 

 

 

Was wäre denn der ideale Standort und welche Sorten sollten gepflanzt werden?

 

Aus den oben genannten Gründen forsten wir auf Borneo in Indonesien unter anderem zerstörte Torfmoorwälder wieder auf. In der Regel pflanzen wir eine Mischung aus Nutzhölzern und Fruchtbäumen, die den akut vom Aussterben bedrohten Orang-Utans als Futterpflanzen dienen. Und wir pflanzen rein endemische und meist bedrohte Sorten.

 

Warum unterscheidet BOS Schweiz zwischen Setzling und Baum? Ein Setzling ist doch letztlich auch nur ein kleiner Baum …

 

Ein Baum ist viel mehr als nur der Setzling! Deshalb muss Aufforstung viel mehr als nur das Pflanzen von Setzlingen beinhalten. Insbesondere braucht es in der Regel eine sinnvolle Vorbereitung des Bodens, damit der Setzling auch gedeiht. In den Torfmoorgebieten, die BOS aufforstet, müssen ehemalige Entwässerungskanäle verschlossen werden, um die Böden wieder zu befeuchten. Dieser Teil des Projektes ist der eigentlich teure. Die Samen sollten lokal gesammelt werden und in eigenen Baumschulen von lokalen Kräften gezogen und dann gepflanzt werden. Kaputte Setzlinge müssen entfernt und ersetzt werden. Aus diesem Grund beinhaltet der Preis eines Baumes (7.65 Franken) bei BOS Schweiz den Setzling plus 5 Jahre Baumpflege. Auch Brandschutz muss betrieben werden und Umweltbildung ist sinnvoll, um die illegale Abholzung zu bekämpfen. Ein Billigbaum oder Setzling für einen Franken kann das nie und nimmer leisten.

 

Ebenfalls wichtig ist, dass eine sinnvolle Kontrolle des Projektes stattfindet und die Spender*innen sicher sein können, dass der Baum überhaupt gepflanzt wird. Manche Organisationen arbeiten sogar an einer Überwachung per Satellitenbild! 

 

Ja, unter anderem wird an der ETH ein System dafür entwickelt. Für unsere Aufforstungsprojekte stellen wir gerne Längen- und Breitengradangaben zur Verfügung, um das möglich zu machen. Zeitgleich führe ich aber auch Gespräche mit denjenigen, die ein solches System planen und weise sie darauf hin, dass das in den Tropen unter Umständen weniger sinnvoll sein könnte als sonst wo. Der Grund: Selbst auf komplett abgebrannten Flächen wuchert es innerhalb von kurzer Zeit und man sieht schnell vor lauter Wildwuchs den Setzling nicht mehr. Obwohl auf dem Satellitenbild alles grün ist und sich schnellwachsende Hölzer in bald breitmachen werden, heisst das nicht, dass dort biodiverser Regenwald entsteht. Unter Umständen müssen Bäume sogar gefällt werden, um wertvolle neue Setzlinge zu pflanzen. Was wir vor allem bei der Aufforstung in Ost-Kalimantan rund um die BOS-Rettungsstation Samboja Lestari leisten, ist also eine Veredelung von Waldgebieten. Wir pflanzen Sorten, die ganze Ökosysteme anziehen und so Leben in den Wald bringen.

 

Manche Organisationen setzen ihre Baumpflanzaktionen mithilfe von Freiwilligenn um, die auf eigene Kosten vor Ort reisen, um die Setzlinge zu pflanzen. Schön, dass es engagierte Menschen gibt, die sich dort für unser Weltklima die Hände schmutzig machen!

 

Pflanzen mit Volontärinnen und Volontären ist nur begrenzt sinnvoll. BOS Schweiz bietet einmal im Jahr eine solche Volontärreise an, bei der das Bäumepflanzen im Mittelpunkt der begleitenden Fundraising-Kampagne steht. Hier sind die freiwilligen Helfer*innen von enormer Bedeutung für uns, weil sie ihr Umfeld für die Kampagne begeistern und zum Spenden animieren. Die Volontäre selbst pflanzen aber letztlich nur einen ganz kleinen Teil der Setzlinge. Der Grund dafür ist, dass die Aufforstung vor Ort für die lokale Bevölkerung wertvolle Arbeitsplätze schaffen kann und sollte. Der Mehrwert der Volontärinnen und Volontäre liegt bei uns in ihrer Mitarbeit in den Bereichen PR und Fundraising. Um einen Mehrwert zu schaffen, sollten sie vor Ort vor allem in Aktivitäten involviert sein, die sonst niemand erledigen würde oder könnte. Wer nur zum Bäumepflanzen durch die Welt jettet, muss schon viele Bäume pflanzen, um allein den Flug zu kompensieren … Das macht für mich wenig Sinn.

 

Spielt im Unternehmenssponsoring Greenwashing immer eine Rolle und wie geht ihr damit um? 

 

Wir schauen uns jedes Unternehmen, das sich bei uns meldet, genau an, recherchieren im Rahmen unserer Möglichkeiten und führen in der Regel ausführliche persönliche Gespräche. Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist eine wichtige Voraussetzung. Niemand ist perfekt. Aber was zählt, ist, dass sich das Unternehmen auf dem richtigen Weg befindet, sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt hat, diese auch verfolgt und nachweislich umsetzt sowie transparent kommuniziert. Wir sprechen mit den Unternehmen auch darüber, wie ein ehrliches Engagement aussehen könnte. Ich verwehre mich zum Beispiel immer gegen den Versuch, das Bäumespenden alleine den Kundinnen und Kunden aufzuhalsen. Auch das ist in die Mode gekommen: Mit jedem Produkt noch einen Setzling für einen Franken erwerben, oder den Konsumentinnen und Konsumenten wird gleich mit dem Einkauf eine CO2-Kompensation für das erworbene Produkt vorgeschlagen. Hier wird das Engagement auf die Kundinnen und Kunden abgewälzt und wird letztlich an den Konsum gebunden. Damit ist das Engagement immer mit einem Gewinn fürs Unternehmen verknüpft. Wer sich ehrlich für den Klimaschutz einsetzen will, der schätzt und spiegelt das freiwillige Engagement der Kundinnen und Kunden. Als Unternehmen kann man beispielsweise die Spende der Kundinnen und Kunden (oder der Mitarbeitenden) verdoppeln oder aus dem Setzling einen Baum machen und so weiter. Immer öfter spenden Unternehmen auch die Einnahmen, die sie bei einem Umstieg von Plastik- auf Papiertüten generieren. Ich fände es super, wenn ein Unternehmen für jede vom Kunden abgelehnte Papiertüte spenden würde – das heisst, ohne dass das Unternehmen Einnahmen für die Papiertüte generiert. Einfach, weil das oberste Ziel doch das Papiersparen sein sollte … 

 

Was würdest du Unternehmen raten, die Bäume pflanzen möchten?

 

  • Pflanzt Bäume, nicht Setzlinge!
  • Forstet in tropischen Gebieten auf, wenn möglich in Torfmoorwäldern. 
  • Die Qualität der Pflanzaktion und nicht die Quantität (die Anzahl der Bäume) ist entscheidend. Achtet darauf, welche Sorten angepflanzt werden. Rein theoretisch kann man auch mit einer Palmölplantage CO2 kompensieren, was natürlich weniger sinnvoll ist. 
  • Achtet auf die lokalen Landbesitz- beziehungsweise Management-Verhältnisse, sonst könnte der Setzling schon morgen nicht mehr stehen.
  • Arbeitet mit Organisationen zusammen, die vor Ort eine lokale Präsenz haben und euch einen zuverlässigen und kritischen Ansprechpartner in der Schweiz liefern.
  • Kommt zu BOS Schweiz :)
  • Last but not least: Aufforstung dauert, und aufgeforstete Gebiete werden sich unter Umständen nie als Lebensraum für bedrohte Arten eignen. Die Zeit drängt, deshalb ist es entscheidend, bestehende und intakte Wälder zu bewahren! Waldschutz als breites Konzept macht viel mehr Sinn als nur Aufforstung. BOS ist es gelungen, Konzessionen für eigene Regenwaldgebiete zu erwerben, diese unter Schutz zu stellen und für Naturschutzzwecke zu nutzten. Wir wildern dort gerettete und rehabilitierte Orang-Utans aus. Insgesamt stehen heute knapp 460 680 Hektar, das heisst 4606 Quadratkilometer intakter und sehr wertvoller Regenwald für mehrere Generationen unter dem Schutz der BOS Foundation! Hierzu gehört auch der Wald von Kehje Sewen – ein BOS-eigenes Auswilderungsgebiet, doppelt so gross wie Singapur! In diese Vorhaben zu investieren, ist wirklich sinnvoll. Ich plädiere also für eine Kombination aus Renaturierung und Aufforstung auf der einen Seite und Waldschutz auf der anderen. Letzteres kann zudem nur gelingen, wenn dieser Schutz begleitet wird von nachhaltiger Entwicklung, Bildungs- und Aufklärungsarbeit – hier wie dort.