Auswildern wie geht das?

Auswildern wie geht das?
Klappe auf, Affe raus? So einfach ist es leider nicht. Bis ein Orang-Utan die Auffangsstation in Richtung Freiheit verlassen kann bedarf es vorallem Zeit, Geld und Auswilderungsgebiete. Über mehrere Jahre hinweg werden die Orang-Utans in unseren Aufstationen auf ihr späteres Leben im Regenwald vorbereitet. Von menschlichen Pflegemüttern lernen sie alles Notwendige. Und das ist eine Menge: Orang-Utans müssen wissen, wo man welche Nahrung findet, wie man essbare von giftige Pflanzen unterscheidet, wie man stabile Schlafnester baut, wie man sich sicher und effektiv in den Baumkronen fortbewegt und vieles mehr. Haben die jungen Menschenaffen all das gelernt, werden sie ausgewildert. Doch wohin?

Wohin auswildern? Regenwald ist nicht gleich Regenwald

Für die Auswilderung muss ein geeignetes Gebiet gefunden werden, dessen Schutz langfristig gewährleistet ist. Dazu gehört die Verhandlung über Nutzungsrechte sowie die Aufklärung der lokalen Bevölkerung. Nach der Auswilderung werden die Orang-Utans mindestens ein Jahr lang beobachtet, das sogenannte Monitoring. Die größte Bedrohung stellt für die Orang-Utans die fortschreitende Vernichtung ihrer Le bensräume (Habitate) dar. Vor allem für den Anbau von Ölpalmen werden Wälder auf Borneo abgeholzt. Aber auch andere Landnutzungsänderungen bedrohen ihre Existenz. Um den für die Wildnis rehabilitierten Orang-Utan-Waisen eine neue, dauerhafte Heimat zu geben, müssen langfristig geschützte Waldgebiete gefunden werden. Das ist alles andere als einfach. Über Jahre war der Mangel an sicheren Waldgebieten der Grund dafür, dass BOS nicht auswildern konnte. 2010 konnte die BOS Foundation dann schließlich nach langen Verhandlungen eine Naturschutz-Konzession für den Regenwald namens „Kehje Sewen“ erlangen. Das 860 km² große weitgehend unberührte Waldgebiet in Ostkalimantan steht nun bis zu 90 Jahre lang der BOS Foundation als Schutz- und Auswilderungsgebiet für Orang-Utans zur Verfügung. Darüber hinaus nutzt die BOS Foundation auch bestehende Schutzgebiete für Auswilderungen und trifft Vereinbarungen mit Dritten über Areale, die von den Konzessionshaltern nicht genutzt werden.
Wohin auswildern? Regenwald ist nicht gleich Regenwald

Welcher Wald ist grundsätzlich geeignet? – Die Ansprüche der Orang-Utans

Ein Expertenteam von BOS bewertet wichtige Kriterien und schätzt die mögliche Aufnahmekapazität an Orang-Utans ab. Mittels Satellitenbildern und Konzessionskarten wird nach Habitattypen, Waldanteilen, Baumbestand, Höhenlagen (Orang-Utans leben kaum oberhalb von 900 Meter Höhe), Landnutzungsarten, Besitzverhältnissen und Infrastruktur kartiert.

Waldgebiete für die Auswilderung von Orang-Utans müssen folgenden Mindestanforderungen entsprechen:

  • Das Gebiet muss langfristig geschützt sein
  • Das Gebiet darf keine bereits vorhandene größere Orang-Utan-Population aufweisen
  • Der Wald muss im ursprünglichen Verbreitungsgebiet der jeweiligen Unterart liegen
  • Im Habitat muss es genügend Nahrung geben, vor allem eine hohe Dichte an Flügelfruchtbäumen

Welcher Wald ist überhaupt verfügbar? - Verhandlungen mit relevanten Akteuren

Welcher Wald ist überhaupt verfügbar? - Verhandlungen mit relevanten Akteuren
Um geeignete Waldgebiete zu sichern, muss die BOS Foundation herausfinden, mit wem sie diesbezüglich in Verhandlung treten muss. Meist handelt es sich um andere Konzessionshalter aber auch um die lokale Bevölkerung. Mit Firmen, die Nutzungsrechte für ein Gebiet innehaben wie z.B. Holzfirmen oder Palmölkonzernen muss abgeklärt werden, welche ihrer Gebiete sie gegebenenfalls nicht mehr nutzen. Staatliche Behörden müssen involviert sein, besonders auch, wenn es darum geht, in bestehenden Schutzgebieten auszuwildern oder eigene Schutzkonzessionen zu erwerben. Allen politischen Ebenen (von der Zentral- bis zur Bezirks-Regierung) muss das Projekt nahe gebracht und erläutert werden um die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten.

Unverzichtbar ist auch die rechtzeitige Aufklärung lokaler Vertreter, denn ohne die Zustimmung der Menschen vor Ort wären Auswilderungen generell zum Scheitern verurteilt. So werden zum Beispiel die Landnutzungen der Gemeinden kartiert, um abzuschätzen, wo Konflikte entstehen könnten. Die BOS Foundation betreibt mit Dorfgemeinschaften Projekte zur ländlichen Entwicklung (z.B. selbstverwaltete Kleinkredite), um die wirtschaftliche Situation der Landbevölkerung zu verbessern. Nur so kann ein Auswilderungsprojekt wie dieses nachhaltig erfolgreich sein.

Weitere Vorbereitungen

Wenn alle Verhandlungen über ein geeignetes Auswilderungsgebiet erfolgreich abgeschlossen sind, wird die nötige Infrastruktur im Auswilderungsgebiet aufgebaut. Dazu gehören ein kleines Büro in der nächstgrößeren Stadt, eine Forschungs- und Basisstation, Zugangswege, Fahrzeuge (oft gemietet) sowie die Anschaffung und Installation von Kommunikationseinrichtungen. Außerdem muss die BOS Foundation bzw. PT RHOI für alle anfallenden Tätigkeiten qualifiziertes Personal einstellen und teilweise auch ausbilden.

Klappe auf, Affe raus – endlich!

Sind alle Voraussetzungen erfüllt, kann mit der eigentlichen Auswilderung begonnen werden. Diese orientiert sich an den Richtlinien der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) und erfolgt unter strenger veterinärmedizinischer Kontrolle. Die Orang-Utans werden betäubt und von der Station mit einem Flugzeug oder Hubschrauber in die entlegenen Auswilderungsgebiete gebracht. Oberstes Gebot ist, den Stress für die Orang-Utans so gering wie möglich zu halten und zu verhindern, dass sich die Tiere verletzen oder gar krank werden. Bei den Auswilderungen wird eng mit einem wissenschaftlichen Team aus Primatologen, Tierärzten und Biologen etc. zusammen gearbeitet. Sie bestimmen letztlich, wie die Orang-Utan-Gruppen zusammengesetzt sind und wie viele Tiere jeweils ausgewildert werden.

Beobachtung nach der Auswilderung

Beobachtung nach der Auswilderung
Das Monitoring nach der Auswilderung ist notwendig um gegebenenfalls kranke Tiere zurückzuholen und medizinisch zu behandeln oder um zu erkennen, dass das Nahrungsangebot nicht ausreicht. Außerdem nutzt die BOS Foundation gewonnene Erkenntnisse für kommende Auswilderungen und passt wenn nötig ihre Strategie an. Zum Monitoring gehören demografische, ökologische, tiermedizinische und Verhaltens-Studien. Gemessen werden unter anderem Ausbreitungsmuster, soziale Interaktionen, Reproduktionsverhalten, Nahrungsverfügbarkeit, Krankheit, Todesfälle und der Einfluss der Auswilderungen auf das Ökosystem. Um das Monitoring besser durchführen zu können, wurde den Orang-Utans erstmalig ein Transmitter zur Ortung eingesetzt. Dieser gibt z.B. Aufschluss darüber, ob Tiere verletzt sind, ob sich Gruppen bilden oder sich ein permanenter Aufenthaltsort herauskristallisiert. Letzteres ist gerade bei Weibchen ein gutes Zeichen für ihre Anpassung an das neue Zuhause. Jedes der Tiere wird mindestens ein Jahr lang beobachtet. Ist es in der Lage, ohne Hilfe wie Zufütterung oder Medizin zu überleben, gilt es als erfolgreich ausgewildert. In den Auswilderungsgebieten sind Orang-Utan-Experten und ein wissenschaftliches BOS-Team verantwortlich für das Monitoring nach der Freilassung. Obwohl auch vorher schon Orang-Utans ausgewildert wurden, hat die BOS Foundation mit ihrem ausgefeilten Programm Neuland betreten. Und der kostspielige Aufwand hat sich gelohnt: Allein zwischen Februar 2012 und April 2014 konnte BOS über 160 seiner Schützlinge in die Freiheit entlassen. Davon starb ein Männchen an einer Parasiteninfektion, und zwei Weibchen gebaren Junge. Der eingeschlagene Weg hat sich also als erfolgreich erwiesen.