Orang-Utan-Baby im Basler Zoo eingeschläfert: War das nötig?

Orang-Utan-Mutter mit Kind

Der Fall macht internationale Schlagzeilen: Viele Tierfreundinnen und -freunde sind empört über den Entscheid des Basler Zollis, eine 4 Tage alte Orang-Utan-Waise einzuschläfern. Hier erfahren Sie, was wir als Orang-Utan-Schutz-Organisation dazu sagen.

Der Vorfall

Im Basler Zoo wurde ein 4 Tage altes Orang-Utan-Baby eingeschläfert. Seine Mutter, Orang-Utan-Weibchen Revital (22), wurde am Dienstag, 31.1.23 tot im Gehege gefunden.

«Die Überlebenschance für das Neugeborene lag bei praktisch null», zitiert die bz Basel den im Zoo Basel für die Primaten zuständigen Biologen Adrian Baumeyer. Man habe Expertinnen und Experten konsultiert und zudem keine guten Erfahrungen mit der Handaufzucht gemacht. Auch die spätere Eingliederung in die Affengruppe sei sehr schwierig: «Das Tier würde den Menschen zu ähnlich werden». (Quelle)
 

Unsere Stellungnahme

Wäre die Mutter eines 4 Tage alten Orang-Utan-Babys in einer BOS-Rettungsstation auf Borneo gestorben, hätte das BOS-Team alles versucht, um die Waise zu retten. Als weltweit grösstes Primatenschutz-Programm haben wir die entsprechende Erfahrung und Expertise und sind gerne bereit, diese zu teilen.

Dazu muss angemerkt werden, dass Kontext, Ziel und die rechtliche sowie religiöse Situation in einer BOS-Rettungsstation und in einem Schweizer Zoo ganz anders sind. Im Gegensatz zu Zootieren werden die Orang-Utans bei BOS meistens auf eine Auswilderung vorbereitet und haben grösstenteils bereits in der Wildnis gelebt. Wenn es sich um wilde, gerettete Tiere handelt, greift zudem nationales und internationales Recht, die eine Tötung eines akut vom Aussterben bedrohten Orang-Utans verbieten. Auch aus religiöser und kultureller Sicht ist eine Euthanasie in Indonesien kaum denkbar.

Wir verfolgen einen holistischen Ansatz und betreiben Tierschutz (jedes Individuum zählt) und Artenschutz (Erhalt der Spezies). Der Tierschutzgedanke erklärt, warum wir selbst schwer verletzten, nicht-auswilderbaren Tieren eine Chance geben und für sie versuchen, ein möglichst artgerechtes Leben zu schaffen – ausserhalb eines Käfigs auf bewaldeten Flussinseln.

Handaufzucht kann gelingen: der Beweis

Die Handaufzucht von Orang-Utan-Babys kann erfolgreich sein. Andere Zoos, z.B. in den USA, haben es gewagt und geschafft.

Eine Handaufzucht funktioniert aber nicht in jedem Setting und nicht in jedem Fall. Orang-Utan-Mütter kümmern sich bis zu 10 Jahre um ihre Kinder. In ihrem natürlichen Lebensraum sind die Jungtiere danach auf sich alleine gestellt, denn Orang-Utans leben nicht in ständigen Gruppenverbünden. Das ist auch einer der Gründe, warum es schwierig ist, einen von Menschen aufgezogenen Orang-Utan im Zoo in eine Gruppe einzugliedern: es ist gegen seine Natur.
Orang-Utan Ben
Orang-Utan Ben ist der lebende Beweis, dass die Handaufzucht gelingen kann. Und er ist kein Einzelfall. Ben kam 2010 in der BOS-Rettungsstation zur Welt. Seine Mutter wurde aus thailändischer Gefangenschaft gerettet und für den Wildtiertourismus missbraucht. Leider konnte sie sich nicht um ihr Baby kümmern, sodass das BOS-Team die beiden trennen musste.

Von menschlichen Ersatzmüttern und in der Waldschule mit weiteren Orang-Utans lernte Ben alles, was er in einer gerechten Welt von seiner Mutter im Regenwald lernen würde. Seit vergangenem November lebt er in Freiheit. Er ist der 500. Orang-Utan in 10 Jahren, der von BOS in einen Schutzwald ausgewildert wurde.

Warum wir diesen riesigen Aufwand betreiben?

Die Orang-Utans sind vom Aussterben bedroht. Das ist nicht nur für die Tiere fatal: Ein ganzes Ökosystem und somit unser Klima ist von der Schirmspezies abhängig. Wir setzen darum alles daran, ihren natürlichen Lebensraum zu schützen sowie verletzte und verdrängte Tiere in Rettungsstationen zu rehabilitieren und auszuwildern.

Eine Frage der Prinzipien

Dass Primaten in Zoos nicht artgerecht gehalten werden können, rechtfertigt der Zoo Basel wie viele Zoos. Mit den sogenannten “Erhaltungszuchtprogrammen” würden sie zum Erhalt der Art beitragen. BOS Schweiz Geschäftsleiterin Dr. Sophia Benz ist skeptisch: “Wir wissen, wie schwer es ist, selbst ehemals wilde Tiere, die nur wenige Jahre in Gefangenschaft gelebt haben, wieder auszuwildern. Dass Tiere, die ihr ganzes Leben – oder sogar über Generationen hinweg – in Gefangenschaft gelebt haben, jemals wieder ausgewildert werden können, ist Augenwischerei. Selbst wenn wir es schaffen, für diese sogenannten Reservepopulationen geeignete Waldgebiete zu erhalten, würden sie dort vermutlich nicht überleben. Ihnen fehlt die Ausbildung für die Wildnis.”

Bei einem Jungtier, das nur kurz oder gar nicht in Gefangenschaft leben musste, sieht es anders aus: die Chance besteht, dass es rehabilitiert und ausgewildert werden kann. In den BOS-Rettungsstationen nehmen wir darum das Risiko und die Kosten einer Handaufzucht in Kauf. Denn wenn Handaufzucht und Rehabilitation funktionieren, dann wird mit etwas Glück nach 8-10 Jahren ein gesundes, selbstständiges Tier ausgewildert und trägt tatsächlich zum Fortbestand seiner Art bei.
 

Das Learning

Jährlich sterben schmerzhaft viele Orang-Utans von Menschenhand: Brandrodung, Abholzung, Wilderei und illegaler Handel sind nur ein Teil der tödlichen Bedrohungen. Wir verstehen die Empörung, die der Vorfall im Basler Zoo auslöst. Und wir wünschen uns, dass die Schicksale der Orang-Utans ausserhalb von Zoos dasselbe Level an Betroffenheit auslösen. Dann könnten wir sie und ihren Lebensraum retten.
© Bilder: Björn Vaughn | BOSF | BOS Schweiz